WOZ 10. Juni 2004
Aus der katholischen Welt · Eine frenetische Jugend besucht eine protestantische Stadt mit einer gleichgültigen Bevölkerung und feiert einen, der nicht mehr lachen kann.
In Payerne hatte ihn Bundespräsident Josef Deiss empfangen und mit ihm einen kurzen Schwatz gehalten. Dann war Papst Johannes Paul II. in den Minibus mit dem Kennzeichen «SCV 1» verladen worden. Am Samstag nachmittag traf er im von katholischen Schwestern geführten Viktoriaheim im Berner Nordquartier ein. Sehr zur Überraschung von mitreisenden JournalistInnen, ignorierte die Quartierbevölkerung das Ereignis weitgehend. Aber im protestantischen Bern ist selbst ein so wichtiger Papst wie Johannes Paul II. vor allem der Anführer der Katholiken und damit einer vom anderen Ufer.
Bern ist seit 1528 reformiert. Der Maler Niklaus Manuel Deutsch, der kurz zuvor noch eindrückliche katholische Schmerzensbilder geschaffen hatte, schrieb nun böse Fasnachtsspiele wider die Pfaffen und den Papst. Damit einher ging ein wüster Bildersturm. Heute spürt man aus den Worten von Samuel Lutz, dem Präsidenten der Synode der Reformierten Kirche ein gewisses Bedauern für diese bilderfeindliche Haltung. Im «Bund» beklagte er die Tatsache, dass die Reformierten ohne so wirkungsstarke Symbole auskommen müssten.
Dieser Papst hat eine grosse Ausstrahlung. Am Tag zuvor hatte er den US-Präsidenten Bush empfangen und ihm wegen des Irakkrieges einmal mehr die Leviten gelesen. Diese klare Haltung gegen den Krieg hat Johannes Paul II. – in der innerkirchlichen Auseinandersetzung ein reaktionärer Fels – weltweit zu einer moralischen Autorität gemacht. Dazu kommt, dass eine ganze Generation nur diesen einen Papst kennt.
Das antipäpstliche Bündnis
«Ehe ist Artznei gegen Hurerei, Martin Luhter, Reformator» hat ein Sprayer an eine Hausfassade im Nordquartier geschrieben. Am Nachmittag machen sich auf dem benachbarten Breitenrainplatz einige wenige Leute daran, gegen den Papstbesuch zu demonstrieren. Und dies, obwohl die Stadtregierung ein Demonstrationsverbot während des ganzen Wochenendes erlassen hatte. Das Verbot ist aber weder souverän noch wirksam. Denn Polizei muss mit einem Grossaufgebot antreten, um es durchzusetzen. Zuerst verteilen die DemonstrantInnen nur Präservative und ein Dossiers mit Beiträgen der Autonomen Frauen, der Homogruppe und der Antifa. Die Flugblätter sind erstaunlich faktenreich. Alle haben sich ernsthaft an den römischen Positionen gerieben und interessante Informationen zusammen getragen.
Kaum entrollen sie aber ein Transparent und marschieren los, ist die Kundgebung auch schon vorbei – wenigstens der Teil, den die Mitglieder des «antipäpstlichen Bündnisses» selber bestimmen können. Die Polizei kesselt sie in unmittelbarer Nähe zu einem Quartierfest ein und lässt sie dort nur nach endlosen Personenkontrollen gehen, was bis gegen 19 Uhr dauert. Zeit genug, um der BBC zu erklären, warum denn überhaupt demonstriert wird: «We are against conservative old men.»
Der Papst als Popstar
Im Eisstadion sind die EinpeitscherInnen schon seit einiger Zeit am Werk. Tausende von Jugendlichen schwenken farbige Handschuhe hin und her. Unter der Holzkonstruktion hängen alte Werbungen «Grindelwald – First/Männlichen/Kleine Scheidegg». Katholischen Gruppen haben eigene Transparente mitgenommen. «Communione e Liberazione» schreibt auf ein Riesentransparent: «Christus ist nicht eine Strasse, Christus ist die Strasse.», «Sei nostra voce» ist anderswo zu lesen oder «Winterthur e Qui». Bundespräsident Deiss taucht plötzlich mit Gefolge auf und gibt ein kurzes Interview, wobei er sich wenig präsidial an einer Stange festhält. Dann verschwindet er hinter der Bühne.
Dort ist inzwischen der Hofstaat aufgefahren. Der Papst in der weissen Soutane ist bereit, um im Rollstuhl zum Massenspektakel herein geschoben zu werden. Auf der Bühne ist der Papst klein – nicht grösser als eine Fingerbreite. Auch Bob Dylan war klein, damals als er auf dem Gurten auftrat. Aber damals gab es noch keine Grossleinwand – und deswegen blieb Dylan klein. Ganz anders der Papst. Auf den ersten Moment ist er ein gespenstischer Anblick: Sein Gesicht ist steif, der Kopf sitzt schief auf dem Körper, der linke Arm ist unbeweglich. (Nur ab und zu reibt er Zeigfinger und Daumen aneinander.) Der Papst kann nicht mehr lachen.
Hinter der starren Fassade scheint sich aber ein Wille zu verbergen, der sehr wohl weiss was mit ihm geschieht. Dieser Papst macht nicht den Eindruck, er sei von irgendwelchen kirchlichen Dunkelmännern einfach auf diese Bühne geschoben worden.
Das Presseamt des Heiligen Stuhls hat die Rede schriftlich abgegeben, denn die Worte des Papstes sind fast unverständlich. Er stockt und wenn ihm die Worte fehlen, stockt einem der Atem: Ist da jetzt das Ende? Stirbt der Papst in der BernArena? Aber die Bischöfe an seiner Seite bleiben kühl. Sie kennen das schon seit Jahren. Die jungen Menschen andererseits helfen ihm mit tosendem Applaus und Sprechchören «Giovanni Paolo» über die Sprachschwelle zurück. Einmal dauert das Schweigen besonders lang. Als ihm einer seiner Begleiter ein Blatt aus der Hand nehmen will, bekommt er – zack – vom Papst eins auf die Finger. Grosser Jubel im Publikum.
In seiner Ansprache warnt der Papst vor den Illusionen der Konsumgesellschaft. Diese führten von der «wahren Freude» weg. Vergängliche Vergnügungen würden die Jugendlichen in den Bann ziehen und «verschlingen». Gefährlich sei es auch, wenn sie auf der Suche nach «wahrer und reiner Liebe» in ein ungeordnetes Gefühlsleben abdriften würde, sagt der Papst. Das ist rigide Moral à la Vatikan. Und geht vermutlich den meisten beim einen Ohr rein und beim anderen wieder raus – wenn sie ihn denn überhaupt verstanden haben.
Anschliessend – der Papst hat in dieser von Begeisterung vibrierenden Halle die Zeit überzogen und weitere geplante Ansprachen fallen ins Wasser – geht die Fahrt zurück ins Viktoriaheim. Die Jugendlichen richten sich nach dem Znacht (Curry mit Reis) auf den Fussböden der riesigen Ausstellungshallen ein. Ein gigantisches Angebot an Unterhaltung, Diskussion und Meditation hilft mit, den weiteren Abend als sinnstiftendes Ereignis zu gestalten.
Die Papstmesse 1. Teil
Rund 70 000 Menschen passieren am Sonntag Polizeikontrollen, die so scharf sind wie auf einem Flughafen. Sie kommen aus allen Ecken der Schweiz und aus dem benachbarten Ausland. Vor den Eingängen werden gelb-weisssen Fähnchen des Vatikans verteilt. Drinnen werden kroatische Fahnen geschwenkt, auch polnische und kosovo-albanische. Auffällig viele Secondas und Secondos wollen den Papst sehen. Voll ist die Berner Allmend aber nicht – und da sie an den Rändern wie eine Schüssel hochgezogen ist- sieht man das auch im Fernsehen deutlich.
Eine Papstmesse ist eine besondere Inszenierung. Die wenigen Protestanten, die sich überhaupt auf die Allmend verirren, sind sichtlich beeindruckt. Zuerst aber müssen die Leute weg von den mit Plastikplatten abgedeckten Fahrwegen. Nur die Samariter des Malteserordens – die Männer in Pfadfinder-Uniformen, die Frauen mit einem schwarzen Cape dürfen bleiben. Auf der Bühne nehmen die Musiker Platz und der Chor. Die Priester werden versammelt und die Ministranten. Der päpstliche Hofstaat im Ornat steigt die breiten Stufen zum Altar hinauf. Dann kommt der Papst. Im Papamobil – einem modernen Schrein – wird er durch die Menge gefahren. Kinder und Jugendliche laufen ihm nach. Er absolviert seine Runden, zugleich ausgestellt wie eine Monstranz und geschützt wie ein Staatsoberhaupt. Er ist nicht allein im Papamobil. Zwei Mitarbeiter sitzen bei ihm – fast unsichtbar – sozusagen in die tragenden Holme des Aufbaus eingebaut. Vier Schweizergardisten nehmen ihre Position auf dem Altar ein. Drei stehen im Schatten, der vierte an der prallen Sonne. Während zweieinhalb Stunden harren sie bewegungslos aus.
Die Papstmesse 2. Teil
Die Kerzen sind vom Wind geschützt, der Weihrauch wird vom Winde verweht. Der Papst persönlich zelebriert die Messe. Natürlich wird ihm geholfen, wo es geht. Den Stab des Bischofs von Rom hält er nur zwei Sekunden in der Hand. Dann hat ihn eine helfende Hand schon wieder übernommen.
In der Predigt sagt der Papst: «Eine Ortskirche, in der die Spiritualität der Gemeinschaft blüht, weiss sich beständig, von den «Rauschgiften» des Egoismus zu reinigen, die Eifersucht, Misstrauen, Sucht nach Selbstbestätigung und schädliche Gegensätze hervorrufen. » So ein Satz wird bei den Schweizer KatholikInnen sicher interpretiert werden. Nur wie: War das eine simple Feststellung? Oder war das ein Tadel?
Der Papst ist natürlich nicht in die Schweiz gekommen um die «herrliche Kulisse der schneebedeckten Gipfel, der sattgrünen, an Blumen und Früchten reichen Täler sowie der zahlreichen Seen und Bäche» zu bewundern (Zitat aus seiner Predigt). Er und seine Entourage verfolgen kirchenpolitische Absichten. Klar haben romtreue Kreise zum Besuch gedrängt, in der Hoffnung, dass der Papst ihre Position stützen könnte. Aber die liberalen Ortskirchen und ihre Organisationen haben ihnen nicht einfach das Feld überlassen.
So sind zuerst einmal alle mit dem Besuch von Johannes Paul II. zufrieden. Die Bischöfe schweben im siebenten Himmel, aber auch kritische Geister in der Kirche gehen davon aus, dass der Besuch ein Gemeinschaft stiftendes Ereignis gewesen sei, an dem sich viele Leute noch lange erinnern werden.
Zur Verteilung der Kommunion schickt der Papst die Priester aus. In langen Reihen, begleitet von MinistrantInnen mit einem weissen Schirm, verteilen sie sich über das Gelände. Wo sich die Leute einfinden, wird das geweihte Brot verteilt. Eine junge Frau rennt los, hechtet über ein Absperrgitter und fällt einem Priestern direkt vor den Füsse. Kinder spielen gleich daneben. Überhaupt entwickelt sich die Messe allmählich zu einem geselligen Beisammensein. Unter den Jugendlichen schwindet die Bereitschaft, das Schauspiel auf der Bühne weiter zu verfolgen. Sie setzen sich hin und spielen Karten oder beschäftigen sich mit ihrem Natel.
Dann ist die Messe vorbei. Wegen eines defekten Liftes wird der Papst noch einige Minuten auf dem Altar zurückgehalten. Dann geht es wieder ins Viktoriaheim – und am späten Nachmittag nach Payerne, wo der Papst am Tag zuvor die Reise begonnen hatte. Seine 102. Auslandreise ist zu Ende.
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