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Der Bauernaufstand von Daillens

WOZ, 21. Dezember 2000

Einen Tag lang haben Bauern und Bäuerinnen in Freiburg die Coop-Bäckerei blockiert. Wenn der Grossverteiler nicht einlenkt, werden sie wieder kommen.

Johannes Wartenweiler

Givisiez, ein Gewerbevorort westlich von Freiburg – hier sind sie schon gewesen. Mit drei Traktoren haben sie am frühen Dienstag morgen die Zufahrt zum Coop-Verteilcenter versperrt. Der Betrieb steht still. Am späten Vormittag ist nur eine Polizistin vor Ort. Sie schiebt Wache und ist gerade damit beschäftigt, ein Stück Holz auf das kleine Feuer zu werfen, das vor dem Eingang brennt. «Sie suchen die Menge?», ragt sie: «Die Bauern sind in die Stadt gegangen.» Sie sagt, sie hätten die Coop-Bäckerei im Freiburger Industrieviertel blockiert: «In der Stadt herrscht jetzt sicher das Chaos.» Coop müsse vermutlich verhandeln, sagt sie dann noch und zeigt auf die Traktoren. Sie gehe auf jeden Fall davon aus, dass alles noch lange dauern könne: «Wir sind vermutlich auch heute Abend noch hier.»

An der Ecke Route de Glâne / Route de la Fonderie steht ein Streifenwagen. Der Verkehr rollt ungehindert an der blockierten Bäckerei vorbei. Auf dem Parkplatz des Coop-Betriebes und an der Route de la St.-Nicolas-von-Flüe stehen zwei- bis dreihundert Bauern in wetterfester Kleidung. Hinter ihnen sind in zwei Reihen dicht an dicht schwere Traktoren aufgereiht, die sich nur mit grossem Aufwand beiseite räumen lassen und deshalb ein besonders schlagendes Verhandlungsargument sind. Schliesslich will die Union Producteur Suisse (UPS), die welsche Bauernorganisation, die bei dieser Aktion federführend ist, die Coop-Verantwortlichen zum Einlenken zwingen. «Coop hat im Oktober einseitig beschlossen, die Produzentenpreise binnen fünf Jahren um zwanzig Prozent zu reduzieren», erklärt Fernand Cuche, Generalsekretär der UPS und grüner Nationalrat: «Ausgerechnet Coop, die von den Vorteilen der Schweizer Landwirtschaft wie der Nähe zur Kundschaft und der transparenten Produktion profitiert und mit dem Bild vom heilen Bauernhof Werbung macht.»

Cuche führt die Blockade an. Er gleicht eher einem streitbaren Pastor als einem Bauern: zurückhaltend im Gespräch, aber beredt, wenn er auf seinem Traktor steht und die Bauern per Megafon immer wieder daran erinnert, warum sie sich heute auf diesem Parkplatz befinden.

Eine Art von Kontakt zwischen den Parteien gibt es seit dem frühen Morgen. Nicolas Deiss, der Bezirksobmann oder Oberamtmann, wie man in Freiburg sagt, versucht zu vermitteln. Der Oberamtmann sei der Bruder des Bundesrates, erklärt eine Bäuerin. Auch der Kommandant der Gendarmerie ist sur place. In seinem dunklen Mantel und mit seinem verschlossenen, reglosen Gesicht eine abweisende Person.

VERHANDLUNG VIA FAX

Bei den Gesprächen zwischen Deiss und Cuche geht es nicht nur um Inhalte, sondern auch um Formen. Die Bauern wollen mit den Verantwortlichen von Coop hier in Daillens sprechen. Diese sitzen in der Coop-Zentrale in Basel und wollen sich nicht nach Freiburg bewegen. Sie schlagen ihrerseits vor, eine Viererdelegation der UPS an einem Ort ihrer Wahl zu treffen. Das wiederum kommt für die Bauern nicht in Frage. «Wir verhandeln hier. Es ist nicht gut, wenn man sich auch nur für eine Stunde von der Basis trennt», erklärt Cuche.

Einmal wird es laut. Der Präfekt verlangt die Aufhebung der Blockade. Es gibt Pfiffe und Buhrufe. Und für seine Bemerkung, die Bauern betrieben hier eine Form von «chantage» (Erpressung), gibts erneut Buhrufe. Dann warten alle auf ein Fax von der Coop-Zentrale.

Das sei gewiss eine rechtswidrige Situation, wird Monsieur Deiss von einer Journalistin gefragt. Gewiss, antwortet der Oberamtmann, die Bauern müssten für eine Demonstration eigentlich eine Bewilligung haben, schon allein wegen des Verkehrs. Monsieur Deiss hat sich diesen kalten, aber schönen Vormittag im Dezember anders vorgestellt. Er habe sich doch ein schönes Tagesprogramm zusammengestellt, seufzt er: «Aber es kommt immer anders, als man denkt.» Er hofft auf eine friedliche Lösung, schliesslich kennt er viele und begrüsst hier jemanden und da einen anderen per Handschlag. «Ich kann doch nicht 120 Mann mit Tränengas auffahren lassen.» Die Traktoren sind dann noch nicht weggeräumt.

ZERFALLENDE PREISE

Eine Frau aus dem freiburgischen Oron klagt über die niedrigen Preise. «Vor fünfzig Jahren erhielten meine Eltern für ein Cochon den gleichen Preis wie wir heute. Das heisst, ein Schwein ist heute nur noch einen Viertel so viel wert wie damals. Und damals, als die Krankenkasse von drei auf drei Franken fünfzig aufschlug, da sagte meine Mutter noch, das sei eine ernsthafte Preiserhöhung.»

Vor allem die Bauern aus der Umgebung sind schon seit zwei Uhr auf den Beinen. Sie haben auch die schweren Maschinen für diese Aktion zur Verfügung gestellt. Die anderen sind mit Autos aus dem Wallis, dem Jura und der Waadt gekommen.

Cuche organisiert vom Traktor aus den Fortgang der Blockade. Abends müssen viele zurück, das Vieh füttern und die Kühe melken. «Es muss sicher sein, dass in der kritischen Zeit zwischen halb fünf und halb neun genügend Leute die Traktoren bewachen», sagt Cuche: «Es reicht nicht, einfach den Zündschlüssel abzuziehen.» Hände gehen in die Höhe. An die fünfzig Männer erklären sich bereit, diese kritische Periode zu überbrücken. Später in der Nacht ist es dann weniger schwierig – und auf Verstärkung kann gehofft werden. «Alles, was wir heute nicht auf dem Hof erledigen können, müssen wir morgen nachholen», sagt ein Bauer. Aber man versuche sich einzurichten und abzulösen.

Eine Gruppe junger Bauern aus der Umgebung – manche sind kaum über zwanzig – scheint die Konfrontation zu suchen. Sie wollen den Grossverteiler in die Knie zwingen. «Wir müssen es wie in Frankreich machen und notfalls eine Woche oder einen Monat lang blockieren, bis sie nachgeben.»

Am Mittag gibt es Cervelat und Bratwürste vom Grill, dazu Brot und heissen Tee aus dem Wärmbehälter. Einige schleppen Bierkisten an, die Brauerei Cardinal ist ganz in der Nähe. Verschlüsse ploppen, Glas klirrt auf Glas, Santé. Der Nachmittag bricht an.

COOP VERHANDLUNGSBEREIT

Coop lässt auf sich warten, und was schliesslich per dürrem Fax eintrifft, ist so unverbindlich, dass die Zurückweisung einstimmig ausfällt. Noch auf dem Traktor schreibt Cuche einen neuen Entwurf und liest ihn den Bauern vor, ehe er ihn zurückschicken lässt. Inzwischen haben die Bauern beschlossen, nur bis 15 Uhr 30 zu verhandeln. Reagiert der Grossverteiler bis zu diesem Zeitpunkt nicht, bleibe die Barrikade bis am nächsten Tag stehen – niemand habe dann bis zum vereinbarten Zeitpunkt um 9 Uhr morgens die Kompetenz, mit Coop zu verhandeln.

Schliesslich kommt kurz nach 15.30 Uhr eine nachgebesserte Version. Coop willigt ein, die Preispolitik zu überdenken und mit den Produzenten darüber zu verhandeln. Cuche hält den Kompromiss für vertretbar und empfiehlt die Annahme. Die jungen Bauern in der ersten Reihe widersprechen vehement: «Wir wollten, dass sie herkommen – sie sind nicht gekommen, also geht die Blockade weiter.» Cuche ist einen Moment überrascht, dann fasst er sich wieder: «Wir haben abgemacht, nicht auswärts zu verhandeln. Das haben wir auch nicht gemacht. Im Übrigen habe ich euch vorher den Text vorgelesen – und ihr seid einverstanden gewesen.» Zwei ältere Bauern aus der Region stehen nun auch auf dem Traktor und reden auf die jungen Bauern ein. Schliesslich applaudieren einige und unterstützen Cuche. Man sei mit dem Kompromiss einverstanden, sagt einer, man könne, wenn nichts dabei herauskomme, später wieder Aktionen machen, da sei noch gar nichts vergeben. Vor allem die Älteren wollen jetzt nach Hause. «Und was machen sie mit den Jungen, die hier bleiben wollen?» «Ich gehe jetzt nach Hause», erwidert der Präsident der Freiburger Sektion der UPS und meint damit, dass die Jungen dieses Zeichen dann schon verstehen würden. Er ist mit dem Tag zufrieden. Von den 420 Mitgliedern ist ein grosser Teil dem Aufruf gefolgt. «Wenn die Verhandlungen mit Coop scheitern, dann können wir wieder einen Effort machen.»

Inzwischen beantworten alle Protagonisten Fragen der Medien. Der Oberamtmann gibt zu bedenken, dass die Situation der Bauern schwierig sei und in den kommenden Jahren mit weiteren Aktionen zu rechnen sei. Auch der Betriebsleiter von Coop ist inzwischen vor Ort. Er wirkt ein bisschen zerknittert. Ihn freut es besonders, als die ersten Traktorenmotoren aufheulen. Einer nach dem anderen schert aus der Barrikade aus und reiht sich in den Feierabendverkehr ein. Um 16.25 Uhr biegt der erste Lastwagen vom Coop-Areal auf die Route de la Fonderie ein.